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Textadventures über das Internet spielen
Brettspiele ohne Brett oder Knobelspaß für alle
von Tim Schürmann
(mit großem Dank an Kerstin Kunze)
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Textadventures eigenen sich hervorragend, um sie mit mehreren Spielern
über das Internet oder sogar auf dem Postweg zu spielen. Dank der
eingebauten Protokollfunktion sind die Abenteuer aus dem Hause Infocom
für diesen Zweck mehr als prädestiniert. Alles was man benötigt,
ist das Spiel selbst und wahlweise einen Emulator oder einen realen C64
mit Drucker.
Es war an einem verregneten Herbstnachmittag. Der Regen prasselte auf
die Scheiben und die Flimmerkiste brachte nur Wiederholungen. Also genau
der richtige Moment, um die alte Brettspielsammlung aus dem verstaubten
Regal zu befreien. Bei der Auswahl des entsprechenden Kandidaten fiel die
Wahl allerdings nicht leicht. Einige der Anwesenden monierten, dass man
immer gegen und nie mit anderen spielen müsse. Wie sich schnell heraus
stellte, sind derartige Spiele äußerst rar. Im hauseigenen Fundus
lag nur eines dieser Gattung und auch das Internet gab zu diesem Thema
befragt, nur zwei Rollenspiele und drei weitere, aber nicht mehr erhältliche
Spiele zur Auswahl. Bei einem Vergleich stellte sich heraus, dass alle
diese kooperativen Spiele auf einem mehr oder weniger gleichen Grundprinzip
aufbauen. In einem Rollenspiel könnte sich zum Beispiel die Gruppe
der Spieler dafür entscheiden, den großen Drachen mit einem
kleinen Dolch anzugreifen. Ein zuvor ausgewählter Spielleiter schlägt
darauf hin in einem Regelbuch nach. Dieses wiederum besagt, dass ein derart
kleiner Dolch keine Chance gegen den riesigen Drachen hat und die Gruppe
als Folge nur noch aus einem Häufchen Asche besteht.
Genau dieses Spielprinzip findet man auch bei Abenteuerspielen. Die
Rolle des Spielleiters übernimmt hier der Computer. Er reagiert auf
die Eingaben und Befehle des Benutzers. Möchte man mit mehreren Personen
die kniffligen Rätsel lösen, so ist es in der Regel notwendig,
dass sich alle Mitspieler um einen Monitor versammeln. Wer dies schon einmal
in der Praxis ausprobiert hat, kennt die dabei rasch auftretende Langeweile
und durch Gähnen angekündigte Ermüdungserscheinungen.
An dieser Stelle verwandeln die guten alten Textadventures ihren Nachteil
zu einem handfesten Vorteil. Sämtliche Bilder entstehen bei ihnen
im Kopf - sie produzieren keinerlei aufwendige Grafiken, Animationen oder
Töne. Statt dessen setzen sie auf reinen Text, der sich auf vielfache
Weise einfach verschickten lässt.
Spielstart
Dank des Internet können so alle Mitspieler zuhause bleiben. Zunächst
wird ein Textadventure mit Blick auf seinen Schwierigkeitsgrad ausgewählt.
Für den Anfang empfiehlt sich ein leichtes und auch recht schnell
lösbares Abenteuer. Gleichzeitig sollte man sicherstellen, dass noch
keiner der Teilnehmer das Spiel bereits irgendwann zuvor gespielt oder
gar gelöst hat.
Ein Spielleiter startet nun das Spiel, nimmt die Vorschläge der
Teilnehmer entgegen und versendet die Antworten des Computers. Per Chat
oder E-Mail einigen sich alle Teilnehmer auf den nächsten Zug. Hierbei
kann sogar der Spielleiter selbst mitspielen: Im Gegensatz zu den herkömmlichen
Brettspielen, hat er keine volle Einsicht in das Regelbuch. Das Spicken
in einer Lösung ist selbstverständlich verpönt - ganz unterbinden
kann man dies selbstverständlich nicht. Hier bleibt nur den Teilnehmern
zu vertrauen.
Das Spiel per Brief ist zwar möglich, dauert dafür aber wesentlich
länger. Erst recht, wenn man etwaige Absprachen berücksichtigt.
Daher eignet sich diese Art der Kommunikation nur für wenige Teilnehmer
oder für Fans von Postspielen.
Abtippen
Wie bereits erwähnt, ist eine Person dafür zuständig,
die Reaktion des Computers an die Teilnehmer zu übermitteln. Im Normalfall
hilft hier nur Abtippen oder - eventuell unter Einsatz von Hilfswerkzeugen
- eine Hardcopy des Bildschirms. Die Textadventures aus dem Hause Infocom
bieten dankenswerter Weise eine so genannte Transscript-Funktion. Sie wird
innerhalb des Spiels mit dem Befehl "script" aktiviert. Anschließend
protokolliert das Programm sämtliche Bildschirmausgaben auf einem
angeschlossenen Drucker.
An einem realen C64 ist dies aber nur für Briefspiele eine wirkliche
Hilfe. Es sei denn, man fährt große Geschütze in Form von
Scanner nebst Zeichenerkennungssoftware auf. Für den Austausch per
E-Mail bieten sich daher die Emulatoren an. Allen voran VICE, der die Druckausgabe
in eine Textdatei umlenken kann.
Im Falle eines Infocom-Adventures aktivieren Sie in seinen Einstellungen
einen Drucker an Port #4, der seine Ausgaben in eine ASCII-Datei leitet.
Dazu aktivieren Sie "IEC printer #4 emulation", stellen "IEC printer #4
driver" auf "ASCII" und wählen als "IEC printer #4 text output device"
den "file dump". Unter welchen Menüs Sie die einzelnen Punkte finden,
hängt von der verwendeten VICE-Version ab.
Sobald Sie in einem Infocom-Adventure das Transskript einschalten,
werden alle angezeigten Texte standardmäßig in der Datei "viceprnt.out"
abgelegt. Sobald Sie VICE beenden, können Sie ihren Inhalt mit einem
Texteditor oder einer Textverarbeitung einsehen.
Dabei werden Sie feststellen, dass die Buchstaben "verdreht" sind:
Kleinbuchstaben werden groß und Großbuchstaben klein gedruckt.
Man kann sich nun entweder damit abfinden oder aber man zieht ein Programm
zu Hilfe, welches die Buchstaben umdreht. Im Kasten "Konverter" finden
Sie ein sehr einfaches Programm in C++.
Konverter |
Im Folgenden finden Sie den Quellcode eines kleinen (und arg verbesserungswürdigen)
Programms, das eine Umwandlung der Druckausgabe von VICE vornimmt. Unter
Linux übersetzen Sie es per g++ -o conv conv.cpp. Voraussetzung
ist, dass sie es unter dem Dateinamen "conv.cpp" gespeichert und die Entwicklungswerkzeuge
(allen voran den C++ Compiler) installiert haben. Nach dem Übersetzen
starten Sie es per ./conv <quelldatei> <zieldatei>, wobei Sie <quelldatei>
für die von VICE erzeugte Textdatei und <zieldatei> für das
Ergebnis der Konvertierung ersetzen.
#include <string>
#include <fstream>
#include <cctype>
int main(int argc, char *argv[])
{
if(argc !=3)
{
cout<<"USAGE: conv <in.txt> <out.txt>"<<endl;
return -1;
}
ifstream infile(argv[1]);
ofstream outfile(argv[2]);
char buf;
char buf2;
while(infile.eof()==false)
{
infile.get(buf);
if(isupper(buf)) buf2=tolower(buf);
else if(islower(buf)) buf2=toupper(buf);
else buf2=buf;
outfile<<buf2;
}
infile.close();
outfile.close();
return 0;
}
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Tipps
Der Betrieb im Emulator hat noch einen weiteren, entscheidenden Vorteil:
Nach jedem Schritt können Sie den gesamten Spielstand als Snapshot
sichern. Das geht nicht nur schneller als das mühsame Speichern mit
der eingebauten Spielstandsfunktion, es hilft auch bei zeitkritischen Spielen.
Im Gegensatz zu einem Solospiel vor dem Computer, erhöht sich
die Spieldauer beträchtlich. Bei einem Spiel über E-Mail, bei
dem die Beteiligten nur einmal täglich antworten, können so durchaus
mehrere Monate vorüber gehen, ehe der Abspann durch den Äther
rauscht. Dies sollte man einkalkulieren, bevor man eine Partie startet.
Sofern man die versendeten Texte, nebst Spielständen archiviert, erlaubt
dies den Teilnehmern kurzzeitig aus einer Partie aus- und später wieder
einzusteigen. Das Lesen der Protokolle bringt die betreffende Person wieder
auf den neuesten Stand.
Man kann die Spielzeit weiter beschleunigen, indem der Spielleiter
triviale Aktionen von sich aus durchführt. Hierzu zählt zum Beispiel
ein Erkundungsrundgang oder das Einsammeln von offen herum liegenden Gegenständen.
Fazit
Hat man einmal den Bogen heraus, lassen sich alte Textadventures nicht
nur zu neuem Leben erwecken, sondern man kann sogar gemeinsam über
den Globus verteilt über einem knackigen Rätsel brühten.
Dies kann sogar mehr Spaß machen, als sich alleine vor dem Monitor
auf Schatzsuche zu begeben.
Version 1, veröffentlicht am 23.12.2004
Copyright (C) 2004 Tim Schürmann
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